Interview mit Prof. Hermann Schumacher zum Projekt “Data Literacy – Data Science (DLDS)”

13.12.2021

Mit dem Projekt “Data Literacy und Data Science” haben neun Hochschulen aus Baden-Württemberg und die SICOS BW GmbH seit nunmehr fast zwei Jahren die Kompetenzen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) bei der Erfassung und Auswertung massiver Datenmengen gestärkt. Dazu haben die Partner unterschiedliche Schulungs- und Qualifizierungsangebote entwickelt – die Federführung hat die School of Advanced Professional Studies (SAPS) der Universität und der TH Ulm. In den Bildungsformaten aus dem Bereich Data Science ergänzen sich Online- und Präsenzelemente, die wichtige Grundlagen aus Mathematik, Informatik sowie etwa betriebswirtschaftliche Kompetenzen für die datengetriebene Entscheidungsfindung vermitteln.

Noch bis Ende 2021 werden die Qualifizierungsangebote vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert und sind somit für die Teilnehmer*  kostenlos.
Professor Hermann Schumacher ist geschäftsführender Direktor der School of Advanced Professional Studies (SAPS) und Leiter des Projekts „Data Literacy und Data Science“. Lesen Sie im Folgenden mehr über seine Erfahrungen und Eindrücke – aus erster Hand!

Guten Tag Herr Schumacher, nun sind wir fast am Ende des Projekts angelangt. Welche Erfolge wurden mit dem Projekt erreicht?

Das sind sicherlich eine ganze Menge! Zunächst einmal haben wir die im Projekt gesetzten Ziele im Wesentlichen erreicht, soll heißen, wir haben die Anzahl an Kursen entwickelt, die wir uns vorgenommen hatten.  Was die Teilnehmerzahlen angeht, haben wir unser ursprüngliches Ziel sogar übertroffen; von daher können wir sagen, dass wir die Key-Performance-Indikatoren, wie man so schön sagt, erfüllt haben. Für mich persönlich war allerdings der größte Erfolg des Projekts, dass wir extrem schnell, extrem flexibel und extrem erfolgreich auf die Herausforderungen der Covid-Pandemie reagieren konnten, die uns ja genau zu dem Zeitpunkt traf, als wir eigentlich anfangen wollten, ernsthaft Kurse anzubieten – nämlich im März 2020. Einige Vorträge und Workshops gab es zwar schon 2019, richtig losgehen sollte es aber 2020. Die Pandemie zwang uns, sehr weit von den ursprünglichen Planungen abzuweichen. Rückblickend hat das hervorragend geklappt.

Wie genau hat die Covid-19-Pandemie das Projekt beeinflusst?

Eine der ursprünglichen Hypothesen war, dass gerade für kleine und mittelständische Unternehmen regionale Präsenzveranstaltungen aufgrund ihrer Kundennähe besser geeignet sind.  Dementsprechend hatten wir unser Angebot auch ausgerichtet. Wir waren dann sehr überrascht, wie gut die aus der Not geborenen Onlineformate angenommen wurden; und dass die Teilnehmer uns im Nachhinein bestätigt haben, dass sie für sie sogar günstig waren. Sollten wir die Kurse nach Projektende weiterführen, wovon ich ausgehe, werden wir daher nicht ausschließlich, aber weiterhin relativ stark auf Onlineformate setzen.
Davon abgesehen mussten wir teilweise auch inhaltliche Änderungen an Formaten vornehmen. So hatten wir beispielsweise eine Reihe von Wochenendworkshops geplant, die dann als Onlineworkshops unter der Woche zwei, drei Stunden am Tag stattfinden mussten. Wir waren selbst überrascht, dass es uns dennoch gelungen ist, die Praxisnähe auch online zu transportieren; insbesondere auch in den Data Labs, von denen wir immer angenommen hatten, sie würden nur in Präsenz funktionieren.  Trotz des Onlineformats haben uns die Teilnehmer aber bestätigt, dass sie gemerkt haben, dass dort Experten und Leute aus der Praxis saßen, die ihnen entscheidende Tipps geben konnten.

Worin unterscheiden sich Kurse für KMUs denn von anderen?

Wie schon erwähnt, hatten wir bestimmte Hypothesen aufgestellt. Dass kleine und mittlere Unternehmen Präsenzveranstaltungen bevorzugen, hat sich nicht bewahrheitet. Dass sie Regionalität bevorzugen und sich ortsansässigen und regionalen Hochschulen verbunden fühlen, stimmt allerdings. Insofern ist es nach wie vor sehr günstig, ein Konsortium zu haben, das ganz Baden-Württemberg regional abdeckt.
Eine andere Hypothese, die sich uns sofort bestätigt hat, ist, dass ein viel größerer Schwerpunkt auf die direkte Umsetzbarkeit gelegt werden muss. Während sich große Unternehmen eine zeitaufwändige Fortbildung ihre Leute zum Data Scientists durchaus vorstellen können, steht für KMU das Arbeiten mit dem Werkzeug und die Anwendung auf konkrete Probleme stark im Vordergrund. Außerdem sind bei KMU die Strukturen ganz andere. Sie haben in der Regel keine großen HR-Abteilungen, bei denen die Weiterbildung ganz klar organisatorisch verankert ist; oder gar Corporate Academies oder ähnliches, mit denen man zusammenarbeiten kann. Man hat bei ihnen direkt einen viel stärkeren Draht zu den Business Units.

Was ist das Besondere an den entwickelten Qualifizierungsformaten?

Das Besondere, glaube ich, ist der Ansatz, den wir gewählt haben, nämlich der über Persona-Konzepte. Hierbei haben wir vier verschiedene Ebenen gewählt. Die erste Ebene heißt Awareness und richtet sich an Geschäftsführer, an Eigentümer und so weiter. Diese haben sicherlich nicht die Zeit, einen mehrtägigen Workshop zu besuchen, wollen aber dennoch einen kompakten Überblick haben, was Data Science, was Data Literacy für ihr Unternehmen bedeutet. Sie wollen nicht zwingend mit Anbietern reden, aber für sich eine Vision entwickeln, in welche Richtung es gehen kann.
Das mittlere Management, das dann die Aufgabe hat, so etwas umzusetzen, berücksichtigen wir auf der Ebene Literacy, der zweiten Ebene. Das sind auch keine Leute, die mit diesen Tools unmittelbar umgehen werden, die aber in der Lage sein müssen, kompetent mit externen Anbietern zu sprechen und die entsprechenden Terminologien zu verstehen. Die dritte Ebene der Practitioner umfasst dann die Techniker, Ingenieure etc., die letztlich alles umsetzen müssen. An sie richtet sich das Angebot mehrtägiger Workshops; denn sie wollen wissen, welche Tools es gibt, wie man mit diesen Tools umgeht und wie man sie auf die Probleme im eigenen Unternehmen anwendet. Und, last but not least, ist da die vierte Ebene der Data Scientists, die in KMU tatsächlich nur begrenzt auftreten werden. Das sind Leute, die beispielsweise auch eigene Werkzeuge entwickeln wollen.  Dafür benötigen sie natürlich eine ganz andere Ausbildungstiefe. Und sie sind es letztlich, die dann beispielsweise nahtlos Masterstudiengänge in diesem Bereich anschließen – die wir auch anbieten.

Welches Feedback haben Sie von den Teilnehmern erhalten?

Das Feedback war ganz überwiegend positiv. Insbesondere die Praxisnähe, die direkte Umsetzbarkeit des Wissen im Unternehmen, die häufig genutzten Fallstudien und vor allem auch die Data Labs mit ihren Praxiseinheiten wurden gelobt. Auch die Nähe zu Experten aus Hochschulen und Praxis haben die Teilnehmer immer wieder hervorgehoben, explizit die unmittelbare Betreuung durch sie. Unsere kleinen Gruppen mit maximal 25 Teilnehmern waren und sind darüber hinaus ein ganz wichtiges Qualitätskriterium. Und Teilnehmer-Zitate wie “Ein kompliziertes Thema wurde hier sehr lebensnah rübergebracht!” sprechen eigentlich für sich.
Kritikpunkte gab es allerdings auch. Oft lassen sich diese auf fehlendes Vorwissen zurückführen, manche dagegen aber auch auf einen gewissen Wissensvorsprung. Für uns ist das ganz klar eine Anregung, das Vorwissen und den Workload zukünftig besser einzuschätzen, zu definieren und aufeinander abzustimmen. Auch die Ausrichtung und den Umfang der Module – also der Angebote, die auch Leistungspunkte haben – werden wir künftig überdenken. Der Wunsch geht hier klar in Richtung Büdel-Zertifikate, die dann eine gewisse Vertiefung in einem bestimmten Sektor nachweisen, also solche Certificates of Advanced Studies im Wesentlichen.

Welche Erfahrungen nehmen Sie persönlich vom Projekt mit?

Ich war ja im Wesentlichen Projektmanager, denn ich selbst bin ja gar kein Data Scientist. Hervorheben möchte ich daher zunächst die ganz hervorragende Kooperation, genauer gesagt, die wirklich sehr gute Zusammenarbeit aller Verantwortlichen über die diversen Hochschulformen hinweg. Das war absolut nicht selbstverständlich und ist ganz sicher eine Grundvoraussetzung für den Erfolg des Projekts.
Persönlich und für die Fortführung des Projekts möchte ich vor allem die teils schon genannten Anregungen aus dem Teilnehmer-Feedback mitnehmen. Als ganz wesentlich erachte ich hierbei die Heterogenität der Vorkenntnisse. Hier müssen wir, denke ich, die Ziele eines Moduls stärker kommunizieren und mit den Zielen der Studenten besser abgleichen. Das erfordert allerdings einen höheren Beratungsaufwand als ursprünglich für das Projekt vorgesehen.  Brückenkurse zum Ausgleich unterschiedlicher Levels könnten eine Lösung sein.  In jedem Fall müssten wir hierfür das Persona-Konzept, das ich gerade ansprach, noch weiter differenzieren, insbesondere im Practitioner-Bereich. Der Wissens-Background ist gerade bei diesen Leuten sehr unterschiedlich, und es bedarf entsprechender Angebote.
So oder so steht fest: Für ein derart umfassendes Angebot brauchen wir ein starkes Netzwerk. Eine Hochschule alleine kann das nicht stemmen. Hier kommt auch noch einmal die Bedeutung unserer Bündel-Zertifikate ins Spiel. Sie sind für die Teilnehmer sehr attraktiv, und rückblickend betrachtet hätten wir sie, denke ich, früher etablieren sollen. Wir werden sie in Zukunft aber, denke ich, verstärkt einbauen und ausbauen. Der Koalitionsvertrag der Ampel spricht beispielsweise ja auch explizit von Micro-Degrees, unter die nach meinem Verständnis zumindest diese Certificates oder auch Diplomas of Advanced Studies fallen.

Das Projekt endet mit Dezember 2021. Wie geht es danach weiter?

Wichtig ist erst einmal: Es geht weiter. Just gestern haben wir uns in unserer Planungsrunde zum Thema Bündel-Zertifikate ausgetauscht. Es wird Anfang 2022 zwei hochschulübergreifende Piloten geben, im Zuge derer Bündelzertifikate eingeführt werden sollen. Sicher ist außerdem: Die für uns sehr erfolgreiche Website dataakademie.de bleibt bestehen und wird im Weiteren von meiner Einrichtung, der School of Advanced Professional Studies, betrieben. Wir werden sie weiterentwickeln und dann im nächsten Jahr auch überlegen, wie wir mit der neuen Plattform von Hochschulweiterbildung@BW kooperieren und die technische Pflege der beiden Plattformen vereinfachen können.  Derzeit ist alles noch im Fluss, wir werden uns aber auf jeden Fall auch in 2022 treffen, um solche Strukturentscheidungen gemeinsam zu fällen. Dabei geht es auch um die Idee, weiterhin eine Geschäftsstelle zu haben; die Mehrheit der Konsortialhochschulen ist der Meinung, dass wir diese benötigen. Die endgültige Entscheidung samt Kostenschätzung und -bewältigung stehen aber noch aus. Wir arbeiten daran!

Das Interview führte Daniela Posch, Projektmanagerin Weiterbildung Data Analytics.

Mehr Informationen zum Projekt finden Sie auf der Website unter: https://dataakademie.de/

*Zur Vereinfachung benutzen wir in unseren Texten die gängige männliche Form. Sämtliche Diversitäten und Identitäten sind natürlich ebenfalls angesprochen.